E

von Jehona Kicay

Mein Leseeindruck:

Der Text von Jehona Kicaj beginnt mit einem abgebrochenen Zahnsplitter im Mund. Die Ich-Erzählerin knirscht mit den Zähnen und die Kiefergelenke knacken dabei. Wir begleiten die junge Frau bei ihren Besuchen beim Zahnarzt und darum entfaltet sich bruchstückhaft die Geschichte.

In Rückblenden werden blitzlichtartig Erinnerungen aus der Kindheit und Jugend der Ich-Erzählerin geteilt. Sie flüchtet mit ihrem Eltern aus dem Kosovo und ringt mit dem Spracherwerb und dem Einleben in Deutschland. Sie erlebt Ausgrenzung und Fremdheit. Als Kind erlebt sie den Kosovokrieg aus der Ferne, in Deutschland. Verwandte und Freunde der Eltern leben noch im Kosovo. Die Autorin schreibt über das Leid der Menschen der albanischen Bevölkerung im Kosovokrieg. Der Großvater verschwindet und es bleibt eine Leerstelle.

„Wenn man mich fragt, woher ich ursprünglich komme, möchte ich antworten: Ich komme von einem Ort, der verwüstet worden ist. Ich wurde in einem Haus geboren, das niederbrannte. Ich hörte Schlaflieder in einer Sprache, die unterdrückt wurde. Ich möchte antworten: Ich komme aus der Sprachlosigkeit.“

Um Leerstellen und Sprachlosigkeit geht es in dem Roman. Das erklärt auch den Titel des Textes. "Ë" ist ein stummer Buchstabe des albanischen Alphabets. Am Ende eines Wortes verändert der lautlose Buchstabe aber die Bedeutung des Wortes.

Mit ruhiger, zurückhaltender und präziser Sprache schafft Jehona Kicaj ein Roman gegen das Vergessen und gibt Vermissten und Verstorbenen eine Stimme. Die toll gewählten Bilder und die Komposition der Fragmente haben mir besonders gut gefallen.

Das Buch stand berechtigterweise auf der Shortlist des deutschen Buchpreises, der besondere Text hat mich sehr beeindruckt. Ein Monatshighlight und eine dringende Leseempfehlung.

Vielen lieben Dank an @netgalley.de für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

E von Jehona Kicaj, Wallstein Verlag, 176 Seiten

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Der Gesang der Berge

von Nguyen Phan Que Mai

Mein Leseeindruck:

Ich habe den Roman gemeinsam mit vielen Mitlesenden bei @frauenerlesendiewelt gelesen. Die Lektüre hat mich teilweise sehr herausgefordert und ich war froh, die Geschichte in einer Leserunde gelesen zu haben. Es war ein intensives Leseerlebnis, bei dem ich viel über die Geschichte Vietnams gelernt habe.

 

Aber worum geht es? Die Geschichte spielt in den frühen 1970er Jahren in Hanoi: Die jugendliche Huʾoʾng wächst bei ihrer Großmutter auf. Ihr Vater wird auf den Schlachtfeldern vermisst und ihre Mutter versucht ihn zu finden.

Die Großmutter erzählt ihrer Enkelin die Familiengeschichte – von friedvollen Jahren auf dem Land, Landreformen, Fremdherrschaft, Krieg und Flucht.

Durch diese abwechselnde Erzählweise wird die Vergangenheit mit der Gegenwart verwoben.

Sprachlich hat mir der Roman sehr gut gefallen. Die Sprache im Buch ist zugänglich, poetisch und bildgewaltig. Die Sprache steht oft im Gegensatz zu den grausamen Ereignisse, die geschildert werden. Das Grauen zum Beispiel im Vietnamkrieg wird zwar plastisch dargestellt aber ohne zu brutal oder explizit zu werden.

Mich hat beeindruckt, wie der Roman nicht nur historisch informiert, sondern das persönliche Leid konkret macht. Ich musste stellenweise Pausen einlegen, weil das Geschilderte so bedrückend war.

Das versöhnliche Ende war gut gewählt und weist in eine hoffnungsvollere Zukunft.

Der Gesang der Berge ist ein Roman über starke Frauen und macht eindrücklich deutlich, wie sehr die Geschichte Familien formt. Er ist literarisch wunderbar geschrieben, atmosphärisch bedrückend und  erzählt von Figuren, die ich nicht so schnell vergessen werde.

 

Eine absolute Leseempfehlung für alle!

 

Der Gesang der Berge von Nguyen Phan Que Mai, Inselverlag, 429 Seiten

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Couscous mit Zimt

von Elsa Koester

Mein Leseeindruck:

Im Juli haben wir im digitalen Buchclub @frauenerlesendiewelt die Region Nordafrika ausgelost und haben uns entscheiden, Couscous mit Zimt aus Tunesien zu lesen. Ich hatte den Roman vorher noch nie gesehen und war sehr gespannt. Das Debüt von Elsa Koester erschien bereits 2020.

In dem einfühlsamen Familienroman wird die Geschichte dreier starker Frauen erzählt. Es geht in der Erzählung um Heimatverlust, Identitätssuche und transgenerative Traumata.

Großmutter Lucile, Mutter Marie und Tochter Lisa erzählen  in den Kapiteln abwechselnd die Familiengeschichte.

Die Französin Lucille lebt mit ihren Töchtern Marie und Solange in Tunesien und kehrt später nach der Zwangsumsiedlung nach Paris zurück.

Nicht nur die Zeiten und Erzählperspektiven wechseln, sondern die Lesenden pendeln in der Geschichte auch zwischen Tunis, Paris und Berlin.

Der Roman beginnt mit Lisa, die nach Paris reist, um die Wohnung der Großmutter Lucile auszuräumen und zu verkaufen. Die Großmutter war erst kürzlich verstorben. Dabei muss sie den Tod ihrer Mutter noch verarbeiten, die vor ein paar Wochen verstorben ist.

Danach wechselt die Perspektive und Zeit immer wieder hin und her. Ich konnte der Geschichte sehr gut folgen. Die drei Frauen aus den unterschiedlichen Generationen erinnern sich sehr unterschiedlich an gemeinsame Erlebnisse und Ereignisse.

 

Der Roman ließ sich fleißig lesen.  Leichte und detailreiche Schilderungen von Gerichten, Landschaften und Erinnerungen werden immer wieder mit erschreckenden und schweren Themen geschickt von der Autorin kombiniert.

Auch wenn das Buch wenig in Tunesien gespielt hat. Die Kolonialgeschichte eher aus Sicht der französischen Tunesierinnen erzählt, die nach der Unabhängigkeit von Tunesien nach Frankreich zurückkehren mussten und so heimatlos geworden sind, hat mir das Buch gut gefallen. Eine Leseempfehlung auch aus der Leserunde!

 

Couscous mit Zimt von Elsa Koester, Frankfurter Verlagsanstalt, 448 Seiten

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Die Frau als Mensch

von Ulli Lust

Mein Leseeindruck:

Ein wundervoll gezeichneter und interessanter Sachcomic über die frühe Menschheitsgeschichte.

Für Laien ermöglicht der Comic einen leichten Einstieg in die Menschheitsgeschichte in der Steinzeit.

Es rückt das schiefe Bild über die Frauen in der frühen Steinzeit  zurecht, dass durch die patriarchale Sichtweise der Forschung in den letzten Jahrhunderten korrigiert.

Wissenschaft gut fundiert, wird in dem Comic ein Einblick gegeben in die neusten Forschungsergebnisse zur Kunst, Leben, Rollenverteilung der Geschlechter und Familienstrukturen in der Steinzeit. Forschung über die Vergangenheit zeigt auch immer die Brille der Forscher, das hat Ulli Lust sehr gut herausgearbeitet. Die Sachinformationen scheinen ausführlich dargestellt und akribisch recherchiert.

Ulli Lust stellt gekonnt dar, dass sich das Bild des frühen Menschen und auch das des Neandertalers/ der Neandertalerin gewandelt hat: Kooperation und Empathie war für die Jäger*innen und Sammler*innen viel wichtiger als Aggression und Konkurrenz.

Die wundervollen Zeichnungen lockern die Seiten auf und illustrieren gekonnt die Sachinformationen. Die Zeichnungen haben mir außerordentlich gut gefallen.

Durch die kurzen Texte sind die Informationen gut portioniert und das Lesen bzw. Betrachten hat mir große Freude bereitet.

 

Ich freue mich auf Band 2, eine klare "Leseempfehlung"!

 

Die Frau als Mensch von Ulli Lust, Reprodukt Verlag, 256 Seiten

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Lázár

von Nelio Biedermann

Mein Leseeindruck:

Lázár ist eine rasant erzählte Familiensaga, die eine ungarische Adelsfamilie über drei Generationen begleitet. Der Roman hat mir viel Neues über die ungarische Geschichte erzählt.

Der Text beginnt mit der Geburt des Sohnes von Lajos von Lázár. Die Niederkunft findet im Waldschloss der ungarischen Adelsfamilie, zu Beginn des 20. Jahrhunderts statt. 

Über drei Generationen hinweg wird episodenhaft die Familiengeschichte erzählt. Es geht um Macht, Herkunft, persönliche Abgründe und Konflikte. Die großen historischen Umwälzungen verändern das Leben der Lázárs grundlegend. Der Autor schafft es das Private mit den politischen Veränderungen zu verbinden und gekonnt darzustellen.

Die Handlung ist von der Familiengeschichte des Autors inspiriert, ungarische Adlige, die ebenfalls in die Schweiz flohen.

In dichter und bildhafter Sprache erzählt der Autor Nelio Biedermann von den Veränderungen in der adeligen Familie. Durch die Sprache schafft der Autor eine bedrohliche Atmosphäre - ein Waldschloss im Dämmerlicht, Schattenräume voller Geheimnisse, klirrendes Porzellan, staubige Nischen, flackernde Feuer zwischen Politik und Familiengeheimnissen. Stellenweise war mir die Sprache etwas zu überladen.

Für eine Familiensaga hat der Roman verhältnismäßig wenig Seiten. Einige Figuren bleiben schemenhaft, trotz rasanter Erzählweise und vielen Momenten, in denen man die Protagonisten beobachtet. Ich hätte mir mehr inneres Erleben gewünscht um näher bei den Figuren sein zu können.

Lázár ist ein lehrreiches, spannendes und toll erzähltes Buch. Den Autor werde ich im Auge behalten. Wenn Nelio Biedermann so weiterschriebt, können wir noch was vom ihm erwarten.

Vielen lieben Dank an @vorablesen für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

 

Lázár von Nelio Biedermann, Rowohlt Berlin, 336 Seiten

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Gym

von Verena Keßler

Mein Leseeindruck:

Die namenlose Ich-Erzählerin wechselt nach einer persönlichen Krise ihren Job. Sie tauscht ihren verantwortungsvollen Job in einem Büro gegen eine Anstellung als Tresenkraft im MEGA GYM.  Im Vorstellungsgespräch behauptet sie gegenüber ihres feministischen Chefs, gerade erst entbunden zu haben. Diese Notlüge wird zum Katalysator: bald werden ihr After Baby Body, Äußerlichkeiten, körperliche Fitness und Selbstoptimierung ihre neue Realität. Ihr Alltag dreht sich nun um Trainingspläne, proteinhaltige Ernährung, Schweiß, Schmerzen und Leistungsdruck.

Je intensiver sie ihr Äußeres formt und optimiert, desto mehr droht ihr Inneres zu zerbrechen.

Verena Keßler beschreibt sehr bildhaft die Welt des MEGA GYMs. In klarer und schnörkelloser Sprache folge ich gespannt dem immer rasanter werdenden Plot. Zum Schluss hin, konnte ich das Buch nicht mehr weglegen.

Die Hauptprotogonistin bleibt distanziert obwohl ich mich beim Lesen in ihrer Gedankenwelt befinde. Viele Hintergründe und Motive werden nur angedeutet oder werden nicht erzählt. Das macht die Ich-Erzählerin ambivalent und unberechenbar und bescherte mir ein spannendes Leseerlebnis.

Gym ist ein starker gesellschaftskritischer Roman über das, was passiert, wenn der Wunsch nach Bestätigung und Leistung das Sagen bekommt – und wie schnell man sich selbst verlieren kann.  Für mich ein überraschendes Lesevergnügen und eine klare Leseempfehlung.

 

Vielen lieben Dank an @vorablesen für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

 

Gym, von Verena Keßler,  Henser Berlin, 192 Seiten

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Radio Sarajevo

von Tijan Slia

Mein Leseeindruck:

Tijan Sila ist 1981 in Sarajevo geboren. In seinem autobiografisch gefärbten Roman schildert er Kindheit im Bosnienkrieg. Als Tijan Sila 10 Jahre alt ist, beginnt die Belagerung Sarajevos. Diese schildert er aus Sicht eines Zehnjährigen. Wir lesen von Bombardierungen, Angst, Hunger, Kälte, Momente, in denen Kinder trotz allem Kind sein wollen. Es ist beängstigend wie schnell der Krieg bald zum Alltag eines Kindes wird.

Die Sprache ist einfach, etwas lakonisch und wird wie der Ich-Erzähler immer roher. Es sind die kleinen Momente und Wahrnehmungen, die das ganze Ausmaß des Krieges eindrücklich beschreiben.

Auf 208 Seiten werden nur fragmentarisch Momente und Situationen geschildert, historische Orte, Fakten und Erklärungen werden nicht mit erzählt. Ich habe während der Lektüre noch einiges recherchiert. Der Schwerpunkt der Erzählung  liegt auf der Zeit in Sarajevo. Ich hätte gerne noch mehr über die Jahre danach erfahren, aber dazu findet man im Roman nur Andeutungen.

Ich war beeindruckt, wie der Autor es schafft, dass der Krieg nicht abstrakt bleibt, sondern mit fühlbar wird – aus der Sicht eines individuellen Kindes, mit persönlichen Verlusten und Hoffnungen. Es zeigt exemplarisch, wie die Menschen die Belagerung überlebt haben.

Gleichzeitig macht der Roman das Vergessene sichtbar. Der Bosnienkrieg ist nicht nur ein vergangenes historisches Ereignis, sondern eine Erfahrung, die bei den Betroffenen bis in die Gegenwart wirkt.

 

Ein unbequemes, wachrüttelndes und beklommen machendes Buch, dass wichtiger und aktueller nicht sein kann. Eine klare Leseempfehlung.

Radio Sarajevo, Tijan Sila, Nagel & Kimche, 208 Seiten

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Kinder. Minderheit ohne Schutz

von Aladin El‑Mafaalani, Sebastian Kurtenbach und Klaus Peter Strohmeier

Mein Leseeindruck:

Das aktuelle Sachbuch informiert darüber, belegt durch viele Studien, dass Kinder heutzutage in der deutschen Gesellschaft zur Minderheit geworden sind. Es gibt in Deutschland im Vergleich nicht nur wenige Kinder, sondern die politische Relevanz, Sichtbarkeit und die möglichen politischen Mehrheiten für kindliche Belange haben sich in den letzten Jahrzehnten sehr verschoben.

Das Sachbuch beschreibt die Herausforderungen von Kindheit in Deutschland. Dazu zählen Migration, Digitalisierung, differenzierte Lebensrealitäten und Kinderarmt. Kindheit hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert.

 

Bildungsinstitutionen müssen nicht mehr nur noch familienergänzend sondern zukünftig auch familienersetzend gedacht werden. Die Autoren beschreiben auch Handlungsfelder und Lösungsmöglichkeiten, wie die Bedürfnisse und Rechte von Kindern stärker berücksichtigt werden können. Viele Vorschlägen sind aber nur vage beschrieben.

 

Das Buch hat mich sehr bewegt. Es weckt Bewusstsein dafür, was es heißt, als Kind in einer alternden Gesellschaft zu leben – und wie unsere Gesellschaft gegenwärtig strukturell versagt, wenn sie Kinder nur „mitdenkt“ statt sie ins Zentrum zu rücken.

 

Eine große Leseempfehlung für alle!

 

Vielen lieben Dank an @netgalley für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

 

Kinder. Minderheit ohne Schutz, Kiwiverlag, 288 Seiten, Rezensionsexemeplar

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Der Traum des Jaguars

von Miguel Bonnefoy

Mein Leseeindruck:

Der Roman lässt sich als eine exotische Familiensaga über mehrere Generationen mit magischem Realismus beschreiben, der Einblicke in die turbulente Geschichte Venezuelas im 20. Jahrhundert gibt.

Eine stumme Bettlerin findet ein Neugeborenes auf den Stufen einer Kirche und nennt ihn Antonio. Im Laufe des Romans wird die Geschichte Antonios erzählt - vom Findelkind zu einem der angesehensten Chirurgen Venezuelas.

Parallel dazu, wird der Lebensverlauf von Ana Maria beschrieben, die die erste Frauenärztin in ihrer Region wird. Irgendwann begegnen sich die beiden Protagonisten. Die Erzählung ist dabei voller Wunder und magischer Momente.

Das Ganze wird erzählt vor dem Hintergrund der venezolanischen Geschichte mit seinen gesellschaftlichen Veränderungen: Ölboom, soziale Ungleichheit, Machtverschiebungen, kulturelle und ökonomische Zwänge. Dabei hängt des Schicksal der Protagonisten eng mit der Geschichte Venezuelas zusammen. Das hat mir die historischen Ereignisse Venezuelas eindrücklicher näher gebracht.

Auf den nur 288 Seiten kommen viele Figuren, Nebencharaktere und exotische Schauplätze vor. Das Erzähltempo ist rasant. Das macht das Buch einerseits zu einem abwechslungsreichen und bunten Leseerlebnis. Anderseits hat es mich manchmal überfordert der Geschichte zu folgen. Schwierig war es dadurch auch für mich eine emotionale Nähe zu den einzelnen Protagonisten aufzubauen.

Vor allem gefallen hat mir an den Roman die sinnliche und teilweise poetische Sprache.

 

Ein reichhaltiges, farbenfrohes Epos, das sehr rasant erzählt wird. Für mich an einen Stellen zu schnell um es zu genießen. Dessen Sprache mich aber mitreißen konnte.

 

Der Traum des Jaguars, von Miguel Bonnefoy, übersetzt von  Kirsten Gleinig, 288 Seiten, Eisele Verlag

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Hotel Paraìso

von Arezu Weitholz

Mein Leseeindruck:

Ich habe bereits den Roman "Beinahe Alaska" von der Autorin gelesen und habe mich gefreut, als mir in der Leserunde "Hotel Paraíso" ausgewählt haben. Wie immer hat es mir viel Freude bereitet, mich über das Buch auszutauschen.

In dem Roman Hotel Paraíso geht es um Frida. Sie ist Synchronsprecherin. Eines Tages beim Arbeiten bleibt ihr die Stimme weg. Die Diagnose Burnout ist schnell gestellt. Frida nimmt sich eine Auszeit und hütet ein Hotel in Portugal. Das Hotel der gehobenen Klasse soll von ihr in der Nebensaison beaufsichtigt werden. Nebenher soll sie sich noch um den Hotelhund Otto kümmern. Sie geht nun täglich einkaufen, am Meer spazieren und kocht sich abends etwas in der verlassenen Personalküche des Hotels.

In der stillen Umgebung des Hotels und bei ihren Spaziergängen am menschenleeren Strand, findet sie zurück zu sich. Sie setzt sich mit dem Alleinsein auseinander. Sie erinnert sich an ihre Kindheit, an die Tankstelle ihrer Eltern, ihre Liebensbeziehungen, ihr Gefühl des Anders sein. Sie reflektiert über Herkunft, Heimat und Heimweh. Durch die Erinnerungen setzt sich langsam die Biographie einer Frau zusammen.

 

Die Sprache hat das Lesen des Romans zu einem Leseerlebnis gemacht. Vor allem mit ihrer bildgewaltigen Sprache und ihrer philosophischen Gedanken hat mich Arezu Weitholz ein zweites Mal mit ihren Romanen begeistern können.

 

Eine klare Leseempfehlung. Das Buch muss gelesen werden.

 

Hotel Paraíso von Arezu Weitholz, Mareverlag, 176 Seiten

 

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Mit Pflanzen die Welt retten

von Bernhard Kegel

Mein Leseeindruck:

Das Sachbuch stellt verschiedene Ansätze vor, wie Pflanzen zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen können. Das Buch bietet einen guten Überblick, ist gut lesbar und schlüssig aufgebaut.

Bernhard Kegel stellt vor, wie Wälder, Moore, Seegraswiesen oder künstliche Photosynthese einen Beitrag zur Senkung des CO2- Gehalts in der Erdatmosphäre leisten könnten. Dabei macht der Autor, belegt durch viele Studien deutlich, dass es keine einfachen Lösungen gibt sondern die unterschiedlichen Lösungsansätze immer Nebenwirkungen mit sich bringen. Die genannten Ökosysteme sind komplex und der Eingriff des Menschen führt immer zu Wechselwirkungen.

Er fordert in seinem Sachbuch auch, intakte Ökosysteme wie Wälder, Moorlandschaften und Seegraswiesen besser zu schützen, damit die Bestandsökosysteme ihren Beitrag zum Klimaschutz weiterhin leisten können.

 

Auch technische Konzepte werden von Bernhard Kegel verständlich vorgestellt.

 

Das Sachbuch ist gut verständlich geschrieben. Die Kapitel sind kurzweilig und stets informativ. Ein unterhaltsames Sachbuch, das wissenschaftlich fundiert erscheint und Mut macht.

 

Vielen lieben Dank an netgalley.de für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

 

Mit Pflanzen die Welt retten, Bernhard Kegel, Dumont Verlag, 254 Seiten

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Zukunftsmusik

von Katerina Poladjan

Mein Leseeindruck:

Dieses Buch lag schon einige Zeit auf meinem SUB und ich bin froh, dass ich es endlich gelesen habe.

Der 192 Seiten lange Roman spielt nur an einem einzigem Tag in Sibirien. Am 11. März 1985 läuft Chopins Trauermarsch im Radio da das sowjetischen Staatsoberhaupt gestorben ist.

An diesem Tag begleite ich beim Lesen einige BewohnerInnen einer Kommunalka, einer Wohngemeinschaft in der späten Sowjetunion. In den maroden Räumen leben auf engstem Raum Großmutter, Mutter, Tochter und Enkelin und noch einige andere Bewohner zusammen. Sie alle bewohnen gemeinsam diese WG, leben aber alle vereinzelt mit ihren eigene Wünschen und Nöten vor sich hin.

Die Autorin beschreibt das Leben der BewohnerInnen an diesem einem Tag und es erinnert mich an ein Theaterstück. Leider wurden in doch knappen 200 Seiten Roman für mich zu viele Personen vorgestellt.

Das Zeitgeschichtliche hat Katerina Poladjan gut in den Roman eingewoben. Die Protagonisten können noch nicht wissen, was die Zukunft bringt, es liegt aber schon der Umbruch in der Luft. Diese Atmosphäre konnte die Autorin gut einfangen. Die leise und melancholische Sprache hat mir gut gefallen.

Trotz des tollen atmosphärischem Schreibstils, konnte mich die Erzählung und auch das offene Ende wenig begeistern. Zum Schluss hin, waren mir die einzelnen Erzählstränge zu verwirrend und fantastisch, die mich unbefriedigend zurück gelassen haben. Schade.

 

Zukunftsmusik von Katerina Poladjan, S. Fischer Verlag, 192 Seiten

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In ihrem Haus

von Yael van der Wouden

Mein Leseeindruck:

Der Debütroman der israelisch-niederländischen Autorin spielt in den 1960ern. Es geht um Isabel, eine junge, verbitterte und neurotische Frau und "ihrem Haus". Das Haus steht in der niederländischen Provinz und Isabel lebt dort in Einsamkeit. Sie hat sich in ihren Routinen gut eingerichtet. Bis die Freundin ihres Bruders dort vorrübergehend einzieht. So lang der Bruder auf Geschäftsreise ist, soll dessen Freundin Eva gemeinsam mit Isabel in dem Haus wohnen. Isabel findet Eva naiv und dümmlich und lässt sie das auch spüren. Eva weckt in der kontrollierten Isabel überraschend ein starkes Verlangen.

Der Roman erzählt aber nicht nur die Liebesgeschichte dieser beiden Frauen, sondern auch von Besitz, Feminismus, historischer Schuld und den Folgen des zweiten Weltkrieges. Mehr möchte ich dazu nicht schreiben oder verraten.

Wie die beiden Frauen noch mit dem Haus verbunden sind, erfährt man bei der Lektüre. Der Twist in dem Buch hat mich sehr überrascht und begeistert.

Durch den intensiven und bedrückenden Schreibstil, hat mich das Buch gefesselt. Spannung ist bis zum Schluss garantiert.

Die Autorin hat auch den "Women’s Prize for fiction 2025" verdient gewonnen.

Eine klare Leseempfehlung!

 

Vielen lieben Dank an @netgalley für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

 

In ihrem Haus von Yael van der Wouden, übersetzt von Stefanie Ochel, Gutkind Verlag, 320 Seiten

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Das Eis-Schloss

von Tarjei Vesaas

Mein Leseeindruck:

Tarjei Vesaas erzählt in seinem Roman "Das Eis-Schloss" die Geschichte zweier Elfjähriger, Siss und Unn. 

Unn kommt nach dem Tod ihrer Eltern zu ihrer Tante in das kleinen Dorf. Die beiden lernen sich in der Schule kennen. Unn steht auf dem Schulhof verstummt in der Ecke und möchte nicht mit Siss und ihren Freundinnen spielen. Sinn möchte aber gern mit ihr befreundet sein. Einen Tages im Winter lädt Unn sie nach Hause ein. Am nächsten Tag ist Unn im titelgebenden Eis-Schloss verschwunden. Das Eis-Schloss nennen die Kinder in dem norwegischem Dorf einen vereister Wasserfall. Das ganze Dorf beginnt Unn zu suchen.

Einfühlsam und berührend beschreibt Tarjei Vesaas, wie Siss nach dem Verschwinden mit der Trauer und Einsamkeit abkapselt.

In poetischer Sprache schildert Vesaas voller Sprachbilder den norwegischen Winter und beschreibt wundervoll Schnee und Eis. Auch im Sommer ein toller Genuss und eine klare Leseempfehlung.

 

Das Eis-Schloss von Tarjei Vesaas, übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel, Guggolz Verlag, 199 Seiten

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Tochter des Regenwaldes

von Nemonte Nenquimo und Mitch Anderson

Mein Leseeindruck:

Nemonte Nenquimo wird im Regenwald in Ecuador geboren. Sie gehört zu dem indigenen Volk der Waorani, die seit Jahrhunderten im Amazonas-Regenwald leben.

Sie erzählt in dem Buch ihre Lebensgeschichte. Ihr späterer Partner Mitch Anderson schriebt ihre Erzählungen auf.

In ihrer Kindheit lernt sie alles über das Leben im Regenwald, deren Tiere, Früchte und Heilpflanzen. In der Dorfgemeinschaft erfährt sie von  jahrhundertalten Erzählungen, der Bedeutung von Träumen,  spirituellen Ritualen und den Mächten des Regenwaldes. Den Einblick, den Nemonte in die Lebensweise ihres Stammes gibt, hat mich fasziniert.

Sie begegnet aber auch schon in ihrer Kindheit den Missionaren, die die indigene Bevölkerung zum christlichen Glauben bekehren wollen.  Die Überheblichkeit der Missionare war mal wieder schockierend zu lesen. Darüber hinaus haben die Ölkonzerne ebenfalls  ein Interesse an dem Siedlungsgebiet der Waoranis. Es gibt unter dem Regenwald große Erdölvorkommnisse. Man liest viel über die Ausbeutung der Missionare als auch der Ölkonzerne. Beim Lesen ist man Nemonte sehr nah. Ihre Gedanken und Gefühle werden eindringlich geschildert und man erfährt, wie sich das Leben im Regenwald durch die Ölförderung und die Christianisierung ändert. Der einfache Schreibstil der Geschichte lässt sich gut lesen und die Gefühlswelt von Nemonte wird sehr gut nachfühlbar. Nemonte erlebt traumatisierende Erlebnisse mit den Missionaren und in der Schule.

Mit 14 Jahren geht Nemonte in die Stadt und besucht eine christliche Schule. Der Zwiespalt zwischen der Kultur ihres Stammes und dem christlichen Glauben wird in dem Roman sehr gut beschrieben. Sie ist hin und her gerissen zwischen der Sehnsucht nach ihrer Heimat und der Begeisterung für die westliche Lebensweise.

Nach einiger Zeit kehrt sie in den Regenwald zurück und kämpft für den Schutz des Regenwaldes und der Lebensweise ihres Volkes.

Dieses Buch macht Hoffnung, eine klares Statement für mehr Toleranz und den Einsatz für Umwelt- und Klimaschutz. Die Erfolge von Nemonte sprechen dafür.

 

Ein aufrüttelnder Roman einer starken und mutigen Frau. Beeindruckend und eine begeisterte Leseempfehlung.

 

Tochter des Regenwaldes, Nemonte Nenquimo und Mitch Anderson, Heyne Verlag, 400 Seiten

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Sohn ihres Vaters

von Tahar Ben Jelloun

Mein Leseeindruck:

Dieser Roman ist ein in Märchenform erzähltes Drama, das eindrucksvoll die marokkanische Kultur und Gesellschaft zeigt, vor allem auch ihre Schattenseiten.

Ahmed wird eigentlich als  achte Tochter geboren. Der Vater ist verzweifelt, da er sich sehnlichst einen Sohn und Erben wünscht. Kurzerhand entscheidet er, dass sein achtes Mädchen zum langersehnten Sohn wird. Ahmed wächst seit seiner Geburt als Mann in seiner Familie auf. Nach dem Tod des Vaters sucht Ahmed nach seiner Identität. Die Geschichte nimmt einige brutale Wendungen und zeigt auf, wie Ahmed versucht seine falschen Identität loszuwerden.

 

Gefallen hat mir die blumige Sprache und die Rahmengeschichte. Nach marokkanischer Tradition erzählt die Geschichte von Ahmed ein Geschichtenerzähler auf dem abendlichen Markt. Der Erzählstil scheint eine Hommage an die orientalische Erzähltradition zu sein. Die vielen losen Ende der Geschichte könnten vielleicht in dieser Tradition Absicht gewesen sein. Trotzdem haben mich die vielen losen Enden verwirrt zurück gelassen. Im zweiten Teil des kurzen Roman haben mich einige Passagen nicht nur sehr verwirrt sondern auch mitgenommen. Viel könnte ich trotzdem nachvollziehen und es hat mich berührt.

Immerhin hat mich die Geschichte so neugierig gemacht, dass ich mit einigen tollen Mitleserinnen die Fortsetzung lese. Für die Fortsetzung der Geschichte "Die Nacht der Unschuld" hat der Autor den Grand Concour gewonnen.

 

Sohn ihres Vaters, Tahar Ben Jelloun, übersetzt von

Christiane Kayer, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 182 Seiten

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Swift River

von Essie Chambers

Mein Leseeindruck:

Swift River erzählt eine Coming-of-Age Geschichte aus dem Jahr 1987 in den USA. Diamond lebt mit ihrer Mutter in Swift River, einer Kleinstadt in New England. Ihr schwarzer Vater ist 1980 verschwunden. Sie hat nur noch ihre Mutter. Ihre Mutter hat viele eigene Probleme und kann Diamond wenig Unterstützung bieten. Sie wächst in einem rassischstem Umfeld auf. Diamond findet Geborgenheit und Zuneigung nur im Essen und in Büchern, die sie in der örtlichen Bücherei ausleiht.

 

Abwechselnd zur Gegenwart, werden in Rückblenden die Ereignisse vor dem Verschwinden des Vaters aus der kindlichen Perspektive von Diamond erzählt. Die Autorin schafft ein gelungenes und feinfühlig erzähltes Familienportrait der kleinen Familie zu zeichnen. Sie macht deutlich, was es bedeutet in einem strukturell rassischem Umfeld zu wohnen und aufzuwachsen.

 

Im Laufe des Buches erfährt Diamond auch, warum sie die einzige Schwarze in Swift River ist. Und es wird exemplarisch die Geschichte der Sundown Towns erzählt.

Als Sundown town  werden in den USA Städte mit überwiegend weißer Bevölkerung bezeichnet, in denen  Afroamerikaner, geraten wurde, sich nach Sonnenuntergang  nicht mehr dort aufzuhalten.

 

Trotz aller Schwierigkeiten schafft es Diamond erste neue Kontakte aufzubauen und Selbstständigkeit zu erlangen. Diamond kann sich von den Zuschreibungen der überwiegend weißen Bevölkerung ihres Ortes lösen und findet eine eigene schwarze Identität.

Die Ansätze des Romans haben mir sehr gut gefallen und die Geschichte ließ sich gut lesen. Ich hatte das Gefühl die Autorin wollte zu viel und am Ende kam mir die Entwicklung von Diamond und auch die historischen Ereignisse zu kurz. Schade. Einzeln erzählt hätten die drei Geschichte jeweils einen Roman füllen können.

 

Eine bittersüße Geschichte, die von historischen Gegebenheiten, Emanzipation, Rassismus und Identität erzählt.

 

Vielen lieben Dank an den Eichbornverlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

Swift River von Essie Chambres, übersetzt von

Simone Jakob, Eichbornverlag, 352 Seiten

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Wir kommen zurecht

von Annika Büsing

Mein Leseeindruck:

Die ersten beiden Romane von Annika Büsing haben mir sehr gut gefallen. Also war klar, dass ich den neuen Roman von ihr auf alle Fälle lesen möchte.

Und der Roman hat mich begeistert!

 

Der neuste Roman von Annika Büsing erzählt wieder eine Coming-of-Age-Geschichte. Auf den ersten Blick scheint Philipp, ein ganz normaler Teenager zu sein. Schule, Fahrstunden, Freunde und sein Familienleben prägen seinen Alltag. Er verbringt viel Zeit mit seinem besten Freund Lorenz oder seiner neuen Liebe Mascha. Der Siebzehnjährige bereitet sich auf sein Abitur vor.

Bei genauerem Lesen erahnt man die dunkle Wolke, die über Philipp schwebt. Er funktioniert oft nur, er hat gelernt sich zurückzunehmen, lacht selten und schluckt all seine Gefühle herunter.

Zusammen lebt er mit seinem Vater, ein vielbeschäftigter Chirurg und seiner jungen Stiefmutter, die sich bemüht, ihrer Rolle gerecht zu werden.

Seine Mutter hat er länger nicht mehr gesehen. Sie hat eine psychische Beeinträchtigung und hält sich immer mal wieder in verschiedenen Kliniken auf. Sie ist unberechenbar, tauscht unvermittelt vor der Haustür auf und verschwindet dann wieder für längere Zeit.

Während seiner Abiturvorbereitungen, meldet sich die Polizei. Seine Mutter ist verschwunden und die Erinnerungen an seine Kindheit holen ihn wieder ein.

 

Die Charaktere sind toll beschrieben und Philipps Entwicklung wird authentisch und nachvollziehbar erzählt.

Gut gefallen hat mir auch die unaufgeregte und poetische Sprache. Auch wenn die Geschichte sehr sprunghaft zwischen Realität und Träumerei/Rausch wechselt, ist mir Philipp ans Herz gewachsen und ich habe ihn gern auf seinem Weg begleitet.

Eine klare Leseempfehlung!

 

Wir kommen zurecht von Annika Büsing, Steidlverlag, 288 Seiten

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